Gemeinsam mit dem Kämpfer und dem Zauberkundigen wurde der Kleriker bereits in der ersten Ausgabe von Dungeons & Dragons (1974) vorgestellt.
Die Klasse ist effektiv gegen Untote, als Heiler unverzichtbar und auch im Kampf brauchbar – wenn auch nicht so stark wie der Kämpfer, da sie nur Hiebwaffen nutzen darf.
Der Ursprung des Klerikers liegt in Dave Arnesons Blackmoor-Kampagne. Dort trat der NSC-Vampir „Sir Fang“ als übermächtiger Gegner auf, dem die Kämpfer der Spieler nicht gewachsen waren. Um dieser Bedrohung zu begegnen, führte Arneson eine neue Figur ein: Einen Dorfpriester als eine „Anti-Vampir“-Klasse mit Heilkräften, die gezielt gegen Untote vorgehen konnte.
Auf dem ODD74-Forum wurde Arneson nach den Klassen im frühen Blackmoor gefragt. In einer seiner Antworten schien er zumindest den Ursprung der Idee des „Turning Undead“ zu bestätigen, als er schrieb:
„…clerics were added to heal up players more quickly. The plague of undead, like Sir Fang, gave clerics additional powers to help eliminate that threat.“
(Was Arneson's Blackmoor Classless?, 10. Juni 2008)
Wie im Blog Hidden in Shadows dargelegt, inspirierte die Figur des Dorfpriesters, gespielt von Mike Carr, dem späteren Autor von In Search of the Unknown, Gary Gygax zur Klasse des Klerikers. Turning Undead war von Beginn an ein zentrales Merkmal der Klasse.
Die Beschränkung des Klerikers auf Hiebwaffen in OD&D knüpft laut mehreren Quellen an historische Vorbilder wie Bischof Odo von Bayeux an, der im 11. Jahrhundert auf dem Bayeux-Teppich mit einem Knüppel dargestellt wird, um kein Blut zu vergießen. Gary Gygax selbst verwies auf diese Darstellung als Inspiration. Andere sehen in der Einschränkung eher den Versuch, den Kleriker spielmechanisch klarer vom Kämpfer abzugrenzen, der alle Waffen führen darf.
Religiöser Hintergrund
Neben dieser spielmechanischen Entstehungsgeschichte lassen sich im Kleriker auch deutliche inhaltliche Anleihen an christliche Vorbilder erkennen. In den drei „braunen Büchlein“ der ersten D&D-Ausgabe findet sich keine Information über konkrete Götter oder ihre Kulte. Die Fähigkeit, Untote zu vertreiben, und Zauber wie Heiliges Wasser und Segen, Stöcke zu Schlangen oder Insektenplage legen jedoch nahe, dass Gygax seinen Kleriker vor einem christlich-biblischen Hintergrund sah.
Mit dieser impliziten Anlehnung endet die christliche Prägung aber auch schon. Im Ergänzungsband Gods, Demi-Gods and Heroes wird ein Pantheon unterschiedlicher Götter und Halbgötter vorgestellt. Im 1977 erschienenen D&D Holmes Basic Set werden Kleriker als Menschen beschrieben, die ihr Leben einer oder mehreren Gottheiten widmen.
Magie vs Religion?
In der Religionswissenschaft wird seit Langem diskutiert, ob sich Religion und Magie klar trennen lassen. Oft wurden diese Grenzen konstruiert, um das jeweils andere abzuwerten – wie etwa im Alten Testament, wo die mosaische Unterscheidung zwischen „wahrer“ und „falscher“ Religion Magie zum Aberglauben erklärte.
Gleichzeitig enthalten viele religiöse Traditionen Elemente, die als „magisch“ gelten können: Rituale zur Abwehr von Unglück oder zur Herbeiführung von Glück, das Berühren heiliger Gegenstände, Gebete um Heilung oder Schutz. Magisches Denken ist jedoch nicht mit allen religiösen Vorstellungen gleichzusetzen; viele Religionen betonen einen planvollen Gott oder eine göttliche Ordnung, die nicht durch rituelle Handlungen manipulierbar ist.
Am treffendsten lässt sich wohl von einer gegenseitigen Durchdringung von Magie und Religion sprechen, ohne beide Phänomene völlig gleichzusetzen.
Für das Rollenspiel hat diese enge Verbindung unmittelbare Konsequenzen: Wenn Magie und Religion nicht strikt getrennt sind, stellt sich die Frage, wie ein Kleriker in einer historisch geprägten Spielwelt funktionieren kann – und ob er dort überhaupt sinnvoll ist.
Der Kleriker in Eiserne Zeit
Bei der Entwicklung des Gazer Press-Regelwerks Eiserne Zeit stand die Frage im Raum, ob die Klerikerklasse in ein historisches Setting passt. Anders als klassisches D&D, das in Fantasywelten spielt, basiert unser Hintergrund auf dem historischen 17. Jahrhundert. Das wirft Probleme auf:
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Allgegenwärtige göttliche Magie: Wenn jeder Geweihte Wunder wirken könnte, wäre göttliche Magie allgegenwärtig – vom Dorfpfarrer über Bischöfe bis zu Klöstern als Bollwerke göttlicher Kraft.
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Konfessionelle Spannungen: Im Dreißigjährigen Krieg stehen sich Katholiken und Protestanten gegenüber. Auf welcher Seite stünde der „Gott der Christen“?
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Magie auf dem Schlachtfeld: Wäre göttliche Intervention allgegenwärtig, könnten Kleriker den Ausgang von Schlachten erheblich beeinflussen.
Eine einfache Lösung wäre gewesen, sich vom historischen Kontext zu lösen und eine Welt zu beschreiben, in der göttliche wie arkane Magie alltäglich ist – doch genau das wollten wir nicht. Deshalb haben wir die Klerikerklasse gestrichen. Aber wer übernimmt nun die Rolle des Heilers, wer segnet die SC und wer vertreibt die Untoten?
Ersatzrollen: Feldscher und Zauberwirker
Die Rolle des Heilers übernimmt der Feldscher. Andere klassische Klerikerfunktionen – Segnungen, Bannung von Untoten – liegen bei der Klasse des Zauberwirkers. Dieser beeinflusst seine Umwelt durch ritualisierte Handlungen, seien es magische Formeln, Segenssprüche oder Gebete.
Der Hintergrund des Zauberwirkers ist flexibel. Er kann Magister an einer Universität sein, Privatgelehrter oder auch Priester. In jedem Fall ein seltener Zeitgenosse (nicht jeder Gelehrte oder Priester ist automatisch Zauberwirker), ein Außenseiter, dem man mit Furcht oder Misstrauen begegnet – je nachdem, auf welche Weise und in wessen Namen er seine Magie wirkt.
Historische Vorbilder wären der Gelehrte John Dee (1527–1609), der wegen schwarzer Magie und Zauberei angeklagt wurde oder der Jesuit und Universalgelehrte Athanasius Kircher (1602–1680). Ebenso passend ist die literarische Figur des Doktor Faustus oder auch der Arzt, Theologe und Vampirjäger Van Helsing.
Viele klassische Schadenszauber (Feuerball, Feuerlanze, Blitzschlag) entfallen oder wurden umgedeutet. Obwohl es in Eiserne Zeit einige wenige Schadenszauber gibt, handelt es sich bei der überwältigenden Mehrheit um Zauber, durch die der Zauberwirker seine Umwelt – belebte wie unbelebte – beeinflusst.
Magie – ob im Namen Gottes oder eines Dämons – ist immer chaotisch, was sich auch in den Spielmechaniken widerspiegelt. Wird sie zu oft, unkonzentriert oder von Unerfahrenen eingesetzt, kann sie Pläne sabotieren oder sogar töten. Das ist Grund genug, warum vernünftige Feldherren im Krieg lieber auf Magie verzichten.
Für uns war klar: In diesem Setting ersetzt der Zauberwirker den Kleriker. Wie haltet ihr es mit dem Kleriker in historischen Settings? Braucht es die Klasse – oder kann man darauf verzichten?