Wir haben mit Ali Bazzi (34) vom ältesten Rollenspiel-Laden Beiruts über Pen&Paper im Libanon, Satanic Panic und Orient-Kampagnen gesprochen.
Gazer Press: Wie sah dein erster Kontakt mit dem Rollenspiel aus?
Ali: Ich habe viele Jahre Wargames gespielt, hauptsächlich Warhammer. 2015 hat mir ein Freund Dungeons and Dragons vorgestellt, wir spielten damals Madness at Gardmore Abbey. Nach meiner ersten Runde D&D hatte ich mich sofort in das Spiel verliebt.
Anschließend beschloss ich, mich eingehender mit D&D zu befassen und übernahm bald die Rolle des Spielleiters – die ich bis heute nicht mehr abgegeben habe (lacht).
Gazer Press: Du leitest in Beirut mit Kollegen einen Laden namens Multiverse, wo ihre Rollenspiele verkauft und Spielrunden anbietet ....
Ali: … Genau, als wir Multiverse 2016 eröffneten, waren wir der erste, auf Brettspiele spezialisierte Laden im Nahen Osten. Es gab bereits davor ähnliche Läden, aber das waren in erster Linie Cafes, wo die Besucher Spiele ausleihen und vor Ort spielen konnten.
Bei Multiverse gibt es nicht nur eine große Auswahl an Brett- und Rollenspielen, wir organisieren auch regelmäßig Turniere, sowohl unsere eigenen – etwa für die Brettspiele Splendor oder Games of Thrones – aber auch offizielle Turniere für Magic: The Gathering, Yu-Gi-Oh! oder Pokémon.
Im Shop gibt es außerdem ein eigenes Zimmer, wo sich Leute treffen, um D&D zu spielen. Dieses Zimmer vermieten wir für 1,5 US-Dollar pro Stunde oder 4 Dollar für den gesamten Tag. Anders ist es mit D&D, da dauert eine Sitzung mindestens vier Stunden und kostet pro Person 4,8 Dollar, inklusive Spielleitung.
Gazer Press: Wie viele Spielrunden pro Woche finden denn dort statt?
Ali: Für gewöhnlich leite ich zwei Spielrunden am Tag, pro Woche werden im Multiverse mindestens acht Runden gespielt. Das Verhältnis von Spielerinnen und Spielern ist in etwa ausgeglichen, mit einem leichten Überhang männlicher Spieler. Die Jüngsten, die zu uns kommen, sind sechs Jahre alt, die ältesten Ende 40.
Ali im Rollenspiel-Zimmer: Im Schrank Regelwerke, Miniaturen und Geländeelemente, links die Kostüme für die Spieler, um sich zu verkleiden.
Gazer Press: Wenn du Leuten in Beirut von deinem Hobby erzählst, dass du regelmäßig D&D-Spielrunden leitest, wie reagieren die? Wissen sie, wovon du sprichst?
Ali: Als Multiverse vor sieben Jahren eröffnete, war das Rollenspiel ein Nischenhobby. So gut wie niemand spielte D&D 5. Edition, es gab vielleicht eine handvoll Pathfinder-Spieler und andere, die ältere Versionen von D&D spielten.
Als wir dann D&D 5e anboten, war das Interesse groß. Viele kannten das Spiel bereits von Critical Role oder der Netflix-Serie Stranger Things. Im Laufe der Jahre wurden es mehr und mehr Spieler. Heute haben wir über 160 Spielgruppen. Einige der aktuellen Kampagnen laufen schon seit über zwei Jahren.
Gazer Press: In Österreich und Deutschland wurde während COVID-19 das Online-Spiel populär. Wie sieht das im Libanon aus, bevorzugen die Leute VTTs oder das analoge Spiel?
Ali: Wir sehen hier in Beirut ganz klar, dass die Leute lieber am Spieltisch als im virtuellen Raum spielen. Von den zahlreichen Spielgruppen, die wir hier im Multiverse leiten, wollten nach COVID nur drei weiterhin online spielen.
Die Spieler schätzen sehr, was wir ihnen in unserem Rollenspielzimmer bieten. Die Regelwerke und Abenteuerbände (auf Englisch, da es keine arabischen Übersetzungen gibt), die ihnen zur Verfügung stehen, die Verkleidungen und natürlich die soziale Interaktion. Die Spieler lieben auch die dreidimensionalen Spielbretter - wenn sie auf einer flachen, gezeichneten Karte spielen, fehlt ihnen das Gefühl der Immersion. Im Multiverse haben sie eine große Auswahl an Miniaturelementen, um ein Setting nachzustellen: Figuren, Gebäude, Bäume, usw.
Gazer Press: Wie sieht es denn abseits von D&D aus, werden auch andere Systeme gespielt?
Ali: Leider spielen die Leute bei uns ausschließlich D&D 5. Edition. Allerdings hatten ich neulich eine Diskussion mit den anderen Spielleitern bei Multiverse und wir entschieden, unser Angebot an Regelwerken zu erweitern. Zukünftig wird man bei uns auch Vampire: The Masquerade, The One Ring und Call of Cthulhu spielen können.
Auf diese Weise sollen die Spieler auch andere Regelwerke kennenlernen und entscheiden, was ihnen am besten gefällt.
Gazer Press: Die meisten D&D-Kampagnen haben ja ein europäisch geprägtes Fantasy-Mittelalter als Hintergrund. Einige, wie etwa die 1992 erschienene Al-Qadim-Kampagne sind aber von der historischen Kalifenzeit und den Geschichten aus Tausendundeine Nacht beeinflusst. Wie erlebst du den Blick westlicher Autoren auf die Geschichte und Mythologie des Nahen Ostens?
Ali: Es gibt bei D&D sicher einige Missverständnisse, wenn es darum geht, die Kulturen des Nahen Ostens darzustellen. Meistens werden ja nur Äußerlichkeiten übernommen, wie Sand, Kamele und Architekturelemente. Man findet zwar viele Charaktere, die einen arabischen Hintergrund haben, aber aufgrund der Art und Weise wie sie dargestellt sind, repräsentieren sie arabischen Menschen nicht sehr überzeugend.
Tatsächlich sollte der kulturelle Hintergrund besser etabliert werden, etwa die Art, wie die Menschen im Nahen Osten miteinander kommunizieren und umgehen. Und das ist etwas, was wir nicht sehen, wenn bei D&D Dinge aus dem Nahen Osten in eine Kampagne übernommen werden.
Wir hatten vor zwei Jahren ein Treffen mit einer Gruppe in Saudi-Arabien. Dort waren viele Spielleiter aus unterschiedlichen Regionen des Nahen Ostens und sie teilten diese Ansicht. Wir sprachen darüber, Abenteuer aus dem D&D-Universum umzuarbeiten und die NSC neu zu gestalten, sodass sie wie Personen aus dem Nahen Osten wirken.
Ich denke außerdem, dass wir unseren eigenen Spielstil entwickeln sollten. Die meisten Menschen sind von der europäischen Spielweise beeinflusst, wie es etwa Critical Role vorspielt. Selten sieht man eine Spielrunde, die auf Arabisch gespielt wird, oder Spieler, die handeln, wie Araber es tun würden. Ich versuche daher in meinen Spielrunden den Hintergrund der Figur so zu verändern, dass er mehr nach Libanon klingt.
Gazer Press: In den 80ern gab es in den USA im Zuge der „Satanic Panic“ eine Hetze gegen D&D – das Spiel würde Kinder zu Satanisten machen und sie anleiten, Dämonen zu beschwören. Sind dir ähnliche Bedenken gegenüber dem Rollenspiel im Libanon bekannt?
Ali: Wir hatten einen Spieler, einen Christen, der Dungeons and Dragons aufgegeben hat, weil ihm ein Geistlicher dazu riet. Er sagte, das sei ein dämonisches Spiel und er wolle da nicht mitmachen. Aber das war ein Einzelfall. Viele andere Personen, die der selben Religion angehören, spielen im Multiverse D&D.
Ich denke, die Leute verstehen ganz klar, dass es sich bei dem Spiel um Imagination, ums Erzählen von Geschichten dreht. Und in der arabischen Region mögen die Leute Geschichten von Magie und all diesen Dingen.
Gazer Press: Wie läuft denn bei euch eine Spielrunde ab, unterhalten sich die Spieler auf Arabisch oder Englisch und wie wichtig ist In-Character-Spiel?
Ali: Eine Spielrunde besteht aus mindestens vier, maximal sieben Spielern. Ich leite die Spielrunden in beiden Sprachen, Arabisch und Englisch. Aber ich bevorzuge es, wenn die Leute in ihrer eigenen Sprache, in Arabisch interagieren, weil sie sich dann besser ausdrücken können. Das führt dazu, dass wir während einer Sitzung in beiden Sprachen sprechen. Orte und NSC beschreibe ich auf Englisch, die Interaktion der SC untereinander oder mit NSC passiert jedoch auf Arabisch.
Die Rolle des SC auszuspielen, ist unseren Spielern sehr wichtig. Sie verkörpern ihren SC, indem sie sich entsprechend verkleiden, oder die Stimme verstellen. Wir legen bei Multiverse viel Wert auf die Entwicklung der Hintergrundgeschichte der Figuren. Zu Beginn einer jeden Kampagne treffen wir uns mit jedem einzelnen Spieler und entwickeln dessen Charakter. Wir erfahren, was sie mögen, was sie nicht mögen, welche Geheimnisse sie haben und welche Ziele die Spielfigur verfolgt. Das alles versuchen wir in die Kampagne einzubauen.
Der Tod eines SC ist natürlich nicht auszuschließen. Aber abgesehen von Kampagnen wie Curse of Strahdt oder Tomb of Annihilation, wird eher selten gestorben.
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