Ein paar Gedanken zum Phänomen Magie, das eigentlich im Widerspruch zu historischen Settings steht. Oder doch nicht?
Viele OSR-Regelwerke halten sich mit genauen Erläuterungen über das Wirken von Magie und ihre Quellen zurück. Ich finde das eigentlich ganz gut, verstehe aber ebenso jene Spieler, die gerne etwas mehr Klarheit zum Thema hätten. Im Folgenden daher ein paar Gedanken, wie ich Magie im Gazer Universum verstehen möchte.
In meiner Version des 17. Jahrhunderts ist die Magie eine okkulte Praxis, die von außenstehenden Betrachtern irgendwo zwischen Scharlatanerie und Teufelskult eingeordnet wird. Es gibt keine Akademien oder Universitäten an denen arkanes Wissen gelehrte wird. Im Gegenteil: Die Unis im 17. Jahrhundert sind immer noch stark theologisch geprägt. Was gelehrt werden darf und was nicht, geben vielerorts die kirchlichen Autoritäten vor. Und für diese steht fest: Magie ist Teufelswerk, wer sich damit einlässt, verlässt den Pfad christlicher Tugenden und gilt als Häretiker – mit allen Konsequenzen von Exkommunikation bis hin zum Tod am Scheiterhaufen.
Magie als Randphänomen
Der Magier ist daher ein Einzelgänger, vielleicht durch Briefwechsel mit Gleichgesinnten in Europa, selten darüber hinaus, vernetzt. Für jene, die das Okkulte studieren wollen, ist es äußerst schwierig überhaupt einen (fähigen) Lehrmeister zu finden, der noch dazu bereit ist, sein Wissen weiterzugeben. Mindestens ebenso selten sind Bücher, die sich dem Thema widmen. Wird eines in einer vergessenen Bibliothek oder zugemauerten Kammer entdeckt, ist das ein Glücksfund. Und selbst dann ist es nicht gesichert, dass der Leser den auf Latein, Altgriechisch, Hebräisch oder Arabisch verfassten Text auch versteht. Neben den sprachlichen Hürden sind die Schriften oft lückenhaft oder verweisen für weiterführende Erklärungen auf andere, verschollene Bücher. Das führt dazu, dass es mitunter Jahre braucht, bis der Wissenssucher überhaupt die Grundlagen versteht auf die aufbauend er irgendwann einmal tatsächlich Magie wirken kann.
Für mein 17. Jahrhundert bedeutet das, dass der Zauberkundige ein seltener Spezialist ist, den man nicht einfach im nächsten Gasthaus anwerben kann. Technisch besehen rechtfertigt das auch die hohe Zahl an XP, die ein Zauberkundiger für einen Stufenaufstieg benötigt – das Studium erfordert Zeit, sehr viel Zeit. Ich bin außerdem ein großer Freund des Vance'schen Magiesystems, bei dem jeder Spruch nur einmal pro Tag gewirkt werden kann. Hinzu kommt, dass Magie unzuverlässig ist. Ein gelungener RW kann ihre Wirkung neutralisieren oder zumindest mindern. Nach den Regeln von LotFP kann ein schlechter Würfelwurf beim Zauber Beschwören sogar zu ungeahnten Katastrophen führen.
Magie im Alltag
Abhängig von ihren Erfahrungen ist Magie für die Menschen in meiner Interpretation des 17. Jahrhunderts entweder bedrohlich oder Humbug. Die einen halten sie für eine abergläubische Verirrung, an die nur Hinterwäldler und Ungebildete glauben. Weder haben diese Menschen jemals einen Magier zu Gesicht bekommen, noch das Wirken von Magie erlebt. Für andere ist Magie eines von vielen realen Grauen, die ihr Leben zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges bedrohen. Im Grunde also ein Lovecraft'scher Ansatz: Im Zentrum eine historisch akkurate Welt, an den Rändern des Paranormale.
Das alles macht klar, warum Magie in der Politik und in den Kriegen Europas, wenn überhaupt, nur eine äußerst begrenzte Rolle spielt. Aber selbst wenn er tatsächlich an die Existenz von Magie glaubt, würde sich kein vernünftiger Feldherr in einer Schlacht auf die äußerst volatile und manchmal selbstzerstörerische Wirkung von Magie verlassen wollen.
Was die Frage zur Quelle von Magie anbelangt, kann ich in meinen Spielrunden gut damit leben, wenn es dafür keine letztgültige Erklärung gibt. Mag sein, paktiert der Magier mit dem Teufel oder Dämonen. Vielleicht ist es auch seine eigene Geisteskraft mit der er die Umwelt manipuliert und die Rituale dienen lediglich als Fokus, um seine Energien zu bündeln, ohne dass dabei irgendeine dämonische Entität im Spiel ist. Möglicherweise lässt sich die Magie sogar auf Gott zurückführen (was auch immer ein Gläubiger sich darunter vorstellen mag), dessen Macht unendlich ist und es daher nichts gibt, was sich ihm entziehen kann. Das Gute an diesen Leerstellen ist, dass sie all jenen Spielrunden, die klare Antworten bevorzugen, die Möglichkeit eröffnet, dieses grobe Gerüst nach Belieben auszuschmücken.
Magie & Dungeons
Interessant finde ich das Zusammenspiel von Dungeons und Magie, über das ich kürzlich in einigen Postings gelesen habe. Wobei ich den Dungeon hier als Platzhalter verstehe, bei dem es sich um unterirdische Tunnel, das Haus an der Friedhofsmauer oder auch das Wolfsmoor bei Bruckstadt handeln kann. Sowohl beim Dungeon als auch beim Wirken von Magie wissen die Spieler, dass ihre SC damit die rationale Umwelt eines historischen Settings verlassen.
Ich vergleiche das Betreten des Dungeons daher mit den sogenannten Rites de Passage, Übergangsriten bei denen der SC von einer Realität in die andere wechselt: Fackeln und Lampen werden entzündet, man hat sich gewappnet, trägt Rüstung und spezielle Ausrüstung bei sich. Indem der SC die knarzende Tür aufdrückt, das Moor betritt oder sich in einen dunklen Schacht abseilt, verlässt er die ihm bekannte, nach den Gesetzen der Physik funktionierende Welt und begibt sich in die Anderswelt – dorthin, wo alles möglich ist.
Magie ist im doppelten Sinn gefährlich. Sie ist ebenso ein Phänomen der Anderswelt, beginnt aber nicht erst hinter der Schwelle zum Dungeon, sondern kann jederzeit über die SC hereinbrechen. Sie ist der plötzliche Einbruch des Irrationalen inmitten der scheinbar historisch-geordneten Welt. Das macht sie umso gefährlicher.
Eingeweihte, wie die SC, wissen, dass diese beiden Phänomene der Anderswelt eine potenzielle Gefahr darstellen. Aber auch die Skeptiker, jene, die nicht an Magie oder die Anderswelt glauben wollen, verspüren ein gewisses Unbehagen. Der Dungeon ist ihnen ein Un-Ort, die Magie eine verbotene Wissenschaft. Die angewandten Mittel gegen diese Phänomene sind das Vergessen und Verdrängen. Wo der Dungeon versiegelt wird, wird der Magier zum Schweigen gebracht. Wenn nötig durch seine Hinrichtung.
Spielregeln für Magie
In Hinblick auf das geplante Gazer Press-Regelwerk möchten wir das oben Beschriebene durch entsprechende Regeln unterstreichen. Ich glaube, dass es in einem historischen Setting mit Musketen, Pistolen und Fässern voll Pulver, mit denen sich alles mögliche phantastisch in die Luft sprengen lässt, keine magischen Feuerbälle und Lichtblitze braucht.
Ich sehe den Zauberkundigen daher mehr als Manipulator seiner Umwelt, jemand, der mithilfe seiner Magie die Gruppe durch kreative Lösungsansätze bereichert. Als Vorlage bietet sich der historische Jahrmarktszauberer oder Geisterbeschwörer an, je nach Setting ergänzt durch Voodoo-Priester oder Fakire.
Für die einen sind diese Gestalten nichts anderes als Scharlatane und Trickbetrüger, für andere, inkl. dem Zauberkundigen selbst, steckt mehr dahinter. Diese Doppeldeutigkeit fängt genau den oben beschriebenen Zugang zur Magie in meinem 17. Jahrhundert ein. Als konkrete Zauber würde sich Hellsehen, Telekinese, Mit Toten Sprechen usw. anbieten.
Um zu verdeutlichen, dass Magie von der Kirche als Teufelswerk angesehen wird und der Zauberkundige daher in steter Gefahr ist, entdeckt und bestraft zu werden, soll es einen sogenannten Scheiterhaufen-Counter geben (ein Shout-Out an Thilo Graf für die Idee!). Jedesmal wenn der SC beim Wirken von Magie beobachtet wird, steigt der Counter um 1. Ab einem bestimmten Wert wird er von den Bluthunden der Kirche verfolgt. Eine entsprechende Tarnung kann ihm helfen, unentdeckt zu bleiben.
Was denkt ihr über Magie in neuzeitlichen Settings? Wie wichtig ist euch eine detaillierte Erklärung ihres Wirkens?
Nur registrierte Benutzer können Kommentare schreiben!
Kommentare werden der Moderation gezeigt, bevor sie veröffentlicht werden.