Wir haben mit Sarp Duyar (24) und Doğa Can Sayılkan (26) von Metis Creative gesprochen, einem türkischen Rollenspiel-Verlag mit Sitz in Istanbul.
Bekannt geworden sind sie mit ihrer D&D-kompatiblen Reihe Historica Arcanum, bei der sie historische Schauplätze des Nahen und Fernen Ostens mit fantastischen Kreaturen bevölkern. Der erste Band, "The City of Crescent", erschien 2021 und spielt in Istanbul des 19. Jahrhunderts. Zwei weitere Bände sind bereits erschienen, ein vierter wird aktuell über Kickstarter finanziert.
Gazer Press: Könnt Ihr euch kurz unseren Lesern vorstellen, aus welcher Branche ihr ursprünglich kommt und welche Rolle ihr bei Metis Creative innehabt?
Sarp: In einem anderen Leben studierte ich Volkswirtschaft, aber dann entschloss ich mich, ein Game Studio zu gründen. Doğa traf ich, während ich das erste Kickstarter-Projekt vorbereitete. Nachdem „The City of Crescent“ 2021 ein Erfolg war, entschlossen wir uns, hauptberuflich Spiele zu publizieren. Meine Aufgaben bestehen im Wesentlichen darin, mich um die Redaktion der Texte, den Inhalt und den Aufbau der Welt zu kümmern. Am häufigsten aber muss ich mich mit langweiligem Geschäftskram beschäftigen, dem Marketing, Logistik und Produktion.
Doğa: Ich war früher in der Videoproduktion tätig, habe hauptsächlich Werbespots, Modefotografie und so Sachen gemacht - völlig irrelevant. Nach einer Reihe von unglücklichen Ereignissen traf ich Sarp und wir starteten eine Kickstarter-Kampagne. Anfangs war ich nur für das Marketing zuständig aber im Laufe der Zeit engagiert ich mich immer mehr und Sarp und ich beschlossen, dieses Unternehmen gemeinsam zu finanzieren. Seitdem bin ich für viele künstlerische Entscheidungen verantwortlich, vor allem für die visuelle Aufbereitung, die Story, die NSC, Plots und so weiter. Das, was ich mache, steht also im völligen Gegensatz zu dem, was Sarp macht, und das macht wirklich, wirklich Spaß.
... ein Rollenspiel zu schreiben, ist sehr ähnlich dem Dreh eines Films
Gazer: Wie hast du die Umstellung von der Videoproduktion hin zum Rollenspiel erlebt?
Doğa: Ich fand mich mit den neuen Medien schnell zurecht, denn ein Rollenspiel zu schreiben, ist sehr ähnlich dem Dreh eines Films. Man entscheidet im Grunde genommen, wie es aussehen soll, was die einzelnen NSC sagen und welche Motive sie haben. Dadurch entspricht es zu hundert Prozent dem Schreiben eines Drehbuchs. Es war für mich also nicht wirklich etwas Neues. Was wir machen, fühlte sich immer irgendwie vertraut an mit dem, was ich vorher gemacht habe. Für mich ist es eine Arbeit die Spass macht und befriedigend ist, vor allem weil es so viele positive Rückmeldungen von Kickstarter-Unterstützern und regulären Kunden gibt.
Gazer: Auf den Kickstarter kommen wir gleich noch einmal zurück. Aber zuvor möchte ich über die Rollenspielszene in der Türkei und speziell in Istanbul sprechen: Wie sieht es mit Spieleläden aus, in denen man Rollenspiele kaufen kann und wie verbreitet ist das Hobby überhaupt in der Türkei?
Sarp: Es gibt in der Türkei eine Menge Leute, die sich im Hobby engagieren, darunter auch YouTuber mit wirklich großer Reichweite. Aber die ganze Hobbyszene konzentriert sich vorwiegend auf das universitäre Milieu mit diversen Universitätsclubs und weniger auf Spieleläden, wie ich es in Europa und den Vereinigten Staaten gesehen habe.
Selbst in Istanbul mit fast zwanzig Millionen Einwohnern gibt es, soweit ich weiß, nur zwei Läden, die Rollenspiele und Wargames anbieten. Aus diesem Grund erleben Leute das Rollenspiel eher als eine Universitätsaktivität, die außerhalb akademischer Kreise wenig Verbreitung hat. Daher ist der Großteil unserer Kundschaft international, nur 0.5 Prozent unserer fast 20.000 Fans stammen aus der Türkei.
Doğa: Da das Hobby vorwiegend von Studenten betrieben wird, läuft vieles, wie etwa die Organisation von Conventions, sehr improvisiert ab. Auch, weil das Budget meist begrenzt ist, vor allem jetzt, da es um die türkischen Lira währungstechnisch nicht sehr gut steht. Man kann also sagen, dass das Rollenspiel in der Türkei nicht nur ein Nischen-, sondern auch eine Art Luxushobby ist, das von einer überschaubaren Gruppe an Jugendlichen und Erwachsenen praktiziert wird.
... nur 0.5 Prozent unserer Fans stammen aus der Türkei
Gazer: Das Crowdfunding von „Era of the Crusades“ ging am 22. August auf Kickstarter live und war binnen Stunden ausfinanziert. Es hat den Anschein, als würdet ihr mit eurer Serie Historica Arcanum bei den Spielern einen Nerv treffen?
Sarp: Ja, tatsächlich haben wir einen Nerv getroffen. Ich glaube, die Leute warteten auf eine Dungeons and Dragons-Ergänzung, die sich selbst ernst nimmt und auf Kulturen und Mythologien basiert, die sich von westlich geprägten Settings unterscheiden. In der Reihe Historica Arcanum kombinieren wir reale Geschichte mit D&D und bieten den Kunden dadurch etwas Neues, das sie noch nicht gesehen haben. Ich denke, das hat der Serie zu ihrem durchschlagenden Erfolge verholfen. Sie kommt dem nahe, was zum Beispiel World of Darkness ist, aber sie ist etwas ernsterer Natur und basiert auf dem D&D-Rollenspiel, das viel populärer ist.
Doğa: Was wir bei unserem aktuellen Kickstarter-Projekt „Era of the Crusades“ umgesetzt haben, ist im Grunde genommen sehr ähnlich zu dem, was Ridley Scott im Film Kingdom of Heaven gemacht hat. Das Setting spielt ja in der selben historischen Epoche der Kreuzzüge. Wie Sie wissen, feierten die Kritiker Scotts Film, auch weil er einen objektiven Standpunkt einnahm. Ich denke, dass auch die Fans unserer Reihe Historica Arcanum ein dringendes Bedürfnis nach objektiven und kulturell authentischen Schauplätzen haben, anstatt immer die selben generischen Fantasy-Klischees vorgesetzt zu bekommen.
Gazer: Das ist auch mein Eindruck, zumal ich bei den wenigen publizierten „Orient“-Settings den Eindruck habe, dass sie von Menschen geschrieben wurden, die die Region nur aus Büchern kennen und nicht besonders vertraut sind mit den vielschichtigen Mythologien und religiösen Vorstellungswelten.
Sarp: Dass wir aus Istanbul sind, gibt uns auf jeden Fall einen unschlagbaren Vorteil, wenn es um Authentizität geht. Ich denke, das zeigt auch der Inhalt, vor allem in „The City of Crescent“, das ja in der Stadt spielt in der wir leben. Wir tauchen in diesem Abenteuer wirklich sehr tief ein in den historischen und kulturellen Hintergrund und haben neben den historischen Fakten zahlreiche Mythen und Legenden eingebaut. Ich denke, wir haben dadurch etwas geschaffen, das Menschen, die nicht aus jenem Kulturkreis kommen, nur schwer schaffen können. Natürlich erspart uns das nicht die Detailarbeit; besonders für „Empires of the Silk Road“ und „Era of the Crusades“ musste wir sehr viel recherchieren, um den historischen Hintergrund richtig darzustellen.
Gazer: Könnt ihr den Lesern ein paar Bücher, Filme oder Spiele nennen, die euch zur Reihe Historica Arcanum inspiriert haben?
Doğa: An erster Stelle wäre da natürlich das Spiel The Assassin's Creed zu nennen.
Sarp: Ich würde noch hinzufügen: World of Darkness, Vampire: The Masquerade und Werewolf: The Apocalypse - vieles davon ist grundlegend für das, was wir anstreben. Ebenso Disco Elysium - eine große Inspiration, wenn es darum geht, sehr charakterorientierte Geschichten zu schreiben. Emre Otkems „Secret Istanbul“ ist eines der Bücher, von denen wir uns sehr inspirieren ließen. In Hinblick auf die Geschichte der Seidenstraße empfehle ich das Buch "Lost Enlightenment" von Frederick Starr, das die faszinierende aber weitgehend unbekannte Geschichte der mittelalterlichen Aufklärung in Zentralasien erzählt. Ebenso empfehlenswert wenn es um politische Geschichte der Region geht, ist das Buch "Silk Roads" von Peter Frankopan. Ich glaube, das war's von meiner Seite, Doğa?
Doğa: Ich würde gerne noch etwas zur Bedeutung der NSC in unseren Publikationen sagen. Als wir uns auf das Schreiben des ersten Buches vorbereiteten, stellten wir fest, dass die meisten NSC in TTRPGs nicht wirklich gut geschrieben sind. Der Grund dafür ist, dass viele Geschichten und Plots bei TTRPGs, an Orte und nicht an Charaktere gebunden sind. Als Medien- und Filmstudent weiß ich, dass das umgekehrt sein sollte. Erfolgreichere Geschichte setzen Menschen, nicht Orte in den Mittelpunkt. In diesen Zusammenhang empfehle ich das Buch „Story“ von Robert Mackey. Es vermittelt die Grundlagen des Geschichtenschreibens und wie man Charaktere mit glaubwürdigen Motiven erschafft – alles auf eine sehr anschauliche Art und Weise. Dieses Buch war sehr hilfreich für uns.
Das ganze OGL-Debakel hat uns wirklich mitgenommen ...
Gazer: Ihr habt die Historica Arcananum Reihe für die fünfte Edition von D&D geschrieben. Wie bekannt, gab es ja heuer einen großen Wirbel, als Wizards of the Coast die OGL zu ihrem Gunsten ändern wollte. Haben ihr jemals darüber nachgedacht, die Abenteuer-Reihe für ein anderes Regelsystem als die fünfte Edition zu schreiben?
Sarp: Ja, absolut. Das ganze OGL-Debakel hat uns wirklich mitgenommen. Um ganz ehrlich zu sein hatten wir ziemliche Angst, dass unser Projekt Historica Arcanum daran scheitern könnte. Denn obwohl WotC seinen Plan zurückgenommen hat, spürten wir die Konsequenzen dieses Missgeschicks, weil zahlreiche Spieler die fünfte Edition und ihre Kampagnen nicht weiter unterstützen wollten. Und das aus gutem Grund. Damals wollten wir eigentlich nur noch "Empire of the Silk Road" fertigstellen und anschließend entscheiden, wie wir weiter machen. Als sich aber der Markt für D&D 5e langsam wieder erholte, entschieden wir, Historica Arcanum weiterhin für die Fünfte Edition zu schreiben.
Aber das bedeutet nicht, dass wir das auf immer so machen werden. Wir setzen uns viel mit Spieldesign auseinander und sammeln Ideen - möglicherweise bringen wir irgendwann unser eigenes Regelwerk auf den Markt.
Doğa: Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Das OGL-Missgeschick - das ist ein gutes Wort dafür - das OGL-Missgeschick war wirklich beängstigend für uns. Und nicht nur für uns, man konnte die Reaktionen der verschiedenen Verleger ja online mitverfolgen. Wir überlegten uns daher, warum wir nicht ein eigenes Regelwerk für unsere historische Reihe entwerfen, das wir optimal auf unser Setting abstimmen können.
Andererseits haben wir viel Zeit damit verbracht, darüber nachzudenken, wie wir Historica Arcanum in 5e umsetzen können. Und ich denke, dass wir das mit Erfolg tun. Dieses historische und Magie-arme Setting ist meines Erachtens wichtig für D&D, weil es nicht viele derartige Settings für 5e gibt.
... etwas Neues angehen und dann mit frischen Augen zurückkommen
Gazer: Was habt ihr für die Zukunft in der Pipeline? Werdet ihr mit dieser historischen Abenteuerreihe weitermachen? Oder habt ihr vor, in Richtung Fantasy oder andere Genres zu wechseln?
Doğa: Das ist derzeit ein sehr heißes Thema in unserem Büro, worüber fast jeden Tag diskutiert wird. Historica Arcanum werden wir weiter verfolgen, aber wir haben nun bereits drei Jahre in diese Reihe gesteckt und wenn man immer am selben Setting arbeitet, stirbt die Kreativität nach einer Weile. Wir wollen daher erstmal etwas Neues angehen und dann mit frischen Augen zurückkommen. Ende dieses Jahres, vielleicht Anfang nächsten Jahres wäre ein guter Zeitpunkt. Aber der Zeitplan ist noch nicht fixiert und über das neuen Setting möchten wir an dieser Stelle noch nichts verraten.
Sarp: Die Wahrscheinlichkeit, dass wir einen neuen Schauplatz ausprobieren, ist hoch - wir werden aber auf jeden Fall weitere Historica Arcanum -Bände herausbringen.
Gazer: Wie sieht denn euer Vertriebssystem aus? Verkauft ihr eure Bücher vorrangig über Kickstarter oder kooperiert ihr auch mit Großhändlern in Europa und den USA?
Sarp: Wir hatten bisher zweierlei Vertriebskanäle: Einerseits Kickstarter, andererseits unsere eigene Website, über die wir etwa 50 Prozent unserer Buchverkäufe abwickeln. Erst in diesem Jahr erreichten wir die Produktbreite, um mit Händlern zu sprechen und die Ergebnisse waren wirklich phänomenal. Fast täglich erhalten wir Anfragen von Einzelhändlern, die unsere Bücher in ihr Sortiment aufnehmen wollen. Ich denke, es wird nicht mehr lange dauern, bis man Historica Arcanum-Bücher in jedem Spieleladen finden kann.
Doğa: Daumen gedrückt!
Gazer: Ich bedanke mich für das Interview und Grüße nach Istanbul. Übrigens, sollten die werten Leser einmal die Möglichkeit haben, diese Stadt zu besuchen – tut es; nette Leute, unzählige historische Denkmäler und tolle Bars.
Sarp: (lacht) Und ausgezeichnetes Essen!
Links:
- Website von Metis Creative
- Era of the Crusades auf Kickstarter
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