Im März 1755 unterzeichnet Maria Theresia einen Erlass, der Vampir-Exekutionen wie das Köpfen, Pfählen und Verbrennen von Leichen unter Strafe verbietet. Was war geschehen?
Dreißig Jahre früher, Wien, 1725. In der barocken Hauptstadt regiert Kaiser Karl VI., letzter männlicher Spross des Hauses Habsburg. Am Balkan führt der Kaiser Krieg. Mit Erfolg: Sieben Jahre ist es her, dass er im Frieden von Passarowitz den Türken Slawonien (Ost-Kroatien), Nordserbien, das Banat von Temeswar (Ungarn) und die Kleine Walachei (Rumänien) abgerungen hat.
Doch der Frieden ist ein unruhiger. Und bald schon wird klar, dass der halbmondförmige Streifen eroberten Landes auch Heimat einer Seuche ist, die die Gelehrten der Monarchie für die nächsten 30 Jahre beschäftigen sollte.
Ein slawonischer Vampir
Kisolova ist ein Grenzdorf am äußersten Rand des Habsburger Reichs. Die Einwohner sind Wehrbauern, ihr Auftrag: Das Grenzland so lange gegen möglich einfallende Osmanen zu verteidigen, bis reguläre Truppen eintreffen. Im Gegenzug sind sie von Leibeigenschaft und Abgaben befreit. In seinem Brief beschreibt der kaiserliche Beamte, wie er das Dorf gemeinsam mit einem orthodoxen Priester aufsucht, um sich Klarheit über die Todesfälle zu verschaffen.
Vor Ort erwarten ihn ein geöffnetes Grab und die drei Monate alte Leiche des Peter Plogojewitz. Dieser, so die feste Überzeugung der Dorfbewohner, sei schuld an den Todesfällen. Er habe den Menschen ihr Blut ausgesaugt. Von der Leiche ging kein Verwesungsgestank aus, die Haut war rosig, Nägel und Haare nachgewachsen, schreibt der Beamte in seinem Bericht. Für die Grenzer das untrügliche Zeichen, dass es sich um einen Vampir handelt.
Tod an der Morava
Nordserbien, 1731. In den letzten Herbsttagen des Jahres sterben im Dorf Medwegya innerhalb von sechs Wochen dreizehn Menschen. Das Dorf liegt am Fluss Morava, die dort lebenden Heyducken sind Teil einer Milizkompanie, die die Reichsgrenze gegen die Türken verteidigen. Das für die Region zuständige Militärkommando entsendet den kaiserlichen Seuchenarzt Glaser. Am 12. Dezember trifft er im Dorf ein.
Ratlose Gelehrte
Das militärische Oberkommando in Belgrad ist beunruhigt und ordnet eine «chyrurgische Visitation» an. Am 7. Jänner 1732 erreicht Regimentsfeldscher Johann Flückinger das Dorf Medwegya. Seine Nachforschungen ergeben, dass vor fünf Jahren ein Mann namens Arnont Paule sich beim Sturz von einem Heuwagen das Genick brach. Dieser habe zu Lebzeiten erzählt, er sei im Osmanischen Reich von einem Vampir angefallen worden.
Arnont Paule sei daher der erste Vampir im Dorf Medwegya gewesen. Nach den 17 Toten der vergangenen drei Monate und den unverwesten Leichen sind die Dorfbewohner überzeugt, «daß sich wiederumben einige Vampyrs allhier befinden». Noch am selben Nachmittag lässt der Arzt 16 Gräber öffnen und obduziert die Leichen. Zehn davon, so wird der Regimentsfeldscher später aussagen, haben sich in ihren Särgen «im Vampirstande» befunden. Mit nachgewachsenen Finger- und Zehennägeln, Kleider und Leichentücher durchnässt von frischem Blut, das aus Ohren, Nasen, Mündern und Geschlechtsteilen floss. Hinweise auf Krankheiten habe auch er nicht gefunden.
Die Nachricht von der Vampirseuche gelangt über Belgrad und Wien bis in die Zeitungsredaktionen in Paris und London und an die sächsischen und thüringischen Universitäten, wo sie rege Diskussionen unter den Gelehrten auslöst. In den akademischen Abhandlungen wird der «Vampyrismus» nicht als Legende abgetan, sondern als Krankheit beschrieben.
Das Ende des Vampirs
Wien, 1755. Kaiser Karl VI. ruht seit 15 Jahren in einem Sarkophag in der Kapuzinergruft. Seine Tochter Maria Theresia leitet jetzt die Geschicke der Monarchie. Im Jänner erreicht die Nachricht den Wiener Hof, wonach eine Vampirin in Mähren (heutiges Tschechien) gepfählt und verbrannt wurde. Auch in dieser Gegend der Habsburger Monarchie ist die Vampirtradition verwurzelt: Bereits 1731 wurden neun Vampire bei Olmütz am Scheiterhaufen verbrannt, darunter sieben Kinder.
Die Auferstehung
Während der Vampir sich aus der Alltagswelt der Menschen zurückzog, hielt er mit Beginn des 19. Jahrhunderts Einzug in die Welt von Literatur und Film. Von John Polidoris The Vampyre(1819) und Alexej Tolstois Die Familie des Wurdalak (1839) über Bram Stokers Dracula (1897) und den von Friedrich Wilhelm Murnau inszenierten Film Nosferatu (1922) bis zu diversen Hollywood-Produktionen. Die Faszination für die Kreatur aus dem Grab hat sich bis heute gehalten.
* Die Zitate stammen aus dem Buch "Mortuus non mordet. Kommentierte Dokumentation zum Vampirismus 1689–1791" von Klaus Hamberger. Die zitierten Briefe und Berichte sind im Hofkammerarchiv in Wien aufbewahrt.
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