1979 war ein gutes Jahr für Dungeons. Im August präsentierte Gary Gygax auf der Gen Con das Abenteuer The Village of Hommlet. Im Dezember erschien ein weiteres Modul, ebenfalls von Gygax geschrieben: The Keep on the Borderlands.
Das Besondere an beiden Abenteuerbänden ist, dass TSR darin die Trinität Dungeon - Wildnis - Rückzugsort eingeführt hat. Das Dorf Hommlet bzw. die Grenzfestung bieten den SC Schutz und die Möglichkeit, zwischen den Expeditionen ihre Ausrüstung zu erneuern, um anschließend - durch die Wildnis - zum Dungeon zurückzukehren.
Dieses Konzept prägt Dungeon-Crawls bis heute. Im Folgenden wollen wir uns ansehen, was der 40 Jahre alten Klassiker The Keep on the Borderlands heute noch taugt.
Bei The Keep on the Borderlands fällt sofort auf, dass es als Einstiegsabenteuer entwickelt wurde (es lag bis 1982 der D&D Grundpackung bei). In einem einleitenden Kapitel spricht Gygax den zukünftigen Spielleiter an und gibt ihm einen Sack voll Tipps mit auf den Weg: Vom Spiel der Rollen über die Kommunikation mit den Spielern bis zur Verteilung von Erfahrungspunkten und Schätzen erfährt der neue SL eine Menge übers Rollenspiel.
Swords for hire
Gygax empfiehlt 6 bis 9 Spieler der Stufe 1. Sind es weniger, können fehlende SC durch Mietlinge ersetzt werden. Diese kampferprobten NSC wollen für ihre Dienste natürlich entlohnt werden. Gygax schlägt vor, geborgenes Gold zu gleichen Anteilen unter allen Mitgliedern der Expedition aufzuteilen. Da gemäß den frühen Regeln von D&D jedes Goldstück einen Erfahrungspunkt bringt, besteht die Chance, dass öfter eingesetzte Mietlinge dadurch einen Stufenanstieg durchlaufen und stärker werden - Motivation für die Spieler, das Leben ihrer Gefolgsleute zu achten.
Gleichzeitig ist dieser Mechanismus aber auch eine Bremse gegen den übermäßigen Einsatz von Mietlingen, denn mit jedem zusätzlichen Gefolgsmann verringert sich nicht nur die Beute, sondern auch die gewonnenen EP.
Da Gygax, wie in den frühen D&D-Zeiten üblich, von tendenziell großen Spielergruppen ausgeht, empfiehlt er einen Caller auszuwählen und einen Kartografen zu bestimmen.
Ein sicherer Hafen
Der Titel The Keep on the Borderlands stellt eine namentlich nicht genannte Grenzfestung in den Mittelpunkt des Abenteuers. Gygax hat diese Home Base mit einigen Details ausgestattet, um die Festung ein Stück weit zum Leben zu erwecken und mehr aus ihr zu machen, als nur einen ummauerten Laden für Ausrüstung und Waffen. „Die Festung ist ein Mikrokosmos, eine Welt in Miniatur“, schreibt Gygax.
So erfährt der Leser, auf welche Weise die Grenzfestung bewacht wird und die Verteidigung im Kriegsfall organisiert ist, dass an Feiertagen ein Markt am Platz mit dem Springbrunnen abgehalten wird und es in der Taverne Gerüchte aufzuschnappen und Söldner anzuwerben gibt.
Und natürlich können die Spieler einige NSC treffen, woraus sich, je nach Verhalten der Spieler, Vor- und Nachteile ergeben können. So ist es für die SC von Vorteil, wenn sie sich mit dem einflussreichen Gildenmeister und dem Burgvogt gut stellen. Ein Juwelenhändler, der darauf wartet, mit einer Karawane sicher in die Zivilisation zurückzukehren, könnte Auftraggeber für ein Folgeabenteuer sein und der ach so sympathische, Bier-saufende Priester wartet nur darauf (Achtung: Spoiler!), von den SC als Begleiter für die Dungeon-Expedition angeworben zu werden, um ihnen dann in den Rücken zu fallen.
Und natürlich können die Spieler einige NSC treffen, woraus sich, je nach Verhalten der Spieler, Vor- und Nachteile ergeben können. So ist es für die SC von Vorteil, wenn sie sich mit dem einflussreichen Gildenmeister und dem Burgvogt gut stellen. Ein Juwelenhändler, der darauf wartet, mit einer Karawane sicher in die Zivilisation zurückzukehren, könnte Auftraggeber für ein Folgeabenteuer sein und der ach so sympathische, Bier-saufende Priester wartet nur darauf (Achtung: Spoiler!), von den SC als Begleiter für die Dungeon-Expedition angeworben zu werden, um ihnen dann in den Rücken zu fallen.
In einem Interview sagte Gygax über das Modul:
Es muss für alles einen Grund geben. Einen Grund, warum der Ort existiert, wer dort lebt und wie er lebt. Ebenso muss es einen Grund für die SC geben, ihr Leben zu riskieren, damit es an diesem Ort zu einem Abenteuer kommen kann. Keep on the Borderlands ist ein bis ins letzte Detail entworfener Ort, an dem verschieden Kreaturen um ihr Überleben kämpfen.
Dass die Grenzfestung bis ins letzte Detail ausgearbeitet ist, würde ich nicht unterschreiben. Es fehlen dunkle Geheimnisse, Liebschaften und Spannungen zwischen den Bewohnern, usw. Wie die Grenzfestung selbst hat übrigens auch keiner der NSC einen Namen (laut Gygax wurde darauf verzichtet, um das Modul möglichst einfach in bestehende Kampagnen einbauen zu können). Aber auch der Grund, warum die SC ihr Leben im Dungeon riskieren sollten, ist auf den ersten Blick nicht ganz klar.
Aber: Wir sollten nicht vergessen, dass das über 40 Jahre alte Modul als Sandbox Szenario entworfen wurde (Den Begriff "Sandbox" gab es damals allerdings noch nicht). Die beschriebenen Orte dienen nicht dazu, einen Plot zu zeichnen, der bei A beginnt und über B zum Höhepunkt des Abenteuers C führt. Gygax nimmt den SL nicht an der Hand, sondern bietet ihm an, aus den vorgelegten Puzzlestücken ein Abenteuer zu basteln und dem Geschmack der Spielergruppe anzupassen.
Und tatsächlich finden sich im Text ein paar Aufhänger für Abenteuer, die vom SL genutzt werden können. Ein von Hobgoblins gefangener Händler, eine verschollene Abenteurergruppe, ein Chaos-Schrein und der dazugehörig Priester, der sich in der Grenzfestung versteckt, usw. Mit etwas Kreativität lässt sich daraus eine schöne Geschichte für Einsteiger stricken, die mehr hergibt, als nur Dungeon-Monster tot zu schlagen.
Wildnis im Quadrat
Die Festung ist von Wildnis - Wälder, Fluss, Sumpf - umgeben. Auf der Karte, übrigens in Quadrate, nicht in Hex-Felder unterteilt, sind fünf Orte beschrieben, an denen es für die Spieler etwas zu entdecken gibt. Der von der Festung am weitesten entfernte Ort ist der Dungeon "Die Höhlen des Chaos": Ein mittelgroßes Areal, in dem es viel zu holen, aber auch viel Gelegenheit zum Sterben gibt.
Große Geheimnisse birgt der Dungeon keine. Dennoch achtet Gygax auch hier auf Details. Die Monster existieren nicht beziehungslos nebeneinander. Orks, Goblins, Kobolde, Bugbears und andere Kreaturen sind verfeindet oder haben lose Allianzen. Diese können von den Spielern zum eigenen Vorteil ausgenutzt werden. So ist der im Dienst der Goblins stehende Oger-Söldner bestechlich und mit ein paar Goldmünzen lässt sich der (sehr fordernde) Kampf mit ihm vermeiden.
Gygax skizziert, wie sich die Dungeon-Bewohner im Falle eines Angriffs verhalten, woher gegebenenfalls Verstärkung kommt und wohin sie fliehen, sollte es notwendig sein. Er schlägt außerdem vor, die Monster aus gemachten Erfahrungen lernen zu lassen. Konnten die SC einige von ihnen meucheln, werden die Monster darauf reagieren und ihre Verteidigung verbessern indem sie Fallen aufstellen und die Wachen verdoppeln.
Als Alternative zum SC-Tod schlägt Gygax vor, dass Monster die SC gefangen nehmen könnten. Für entsprechendes Lösegeld werden sie frei gelassen. Die Monster-Bande gewinnt dadurch an Ansehen und zusätzliche Kreaturen schließen sich ihnen an. Gleichzeitig wird der Stamm vorsichtig sein, weil er mit weiteren Angriffen durch die SC rechnet.
Das alles ist natürlich ausbaufähig, doch es ist klar, worauf Gygax hinaus will: Die Monster sind keine stupiden Kreaturen, die bewegungslos in ihren Verstecken verharren bis die SC kommen, um sich dann emotionslos abschlachten zu lassen. Statt dessen organisieren sie ihre Verteidigung, rufen nach Verstärkung im Falle eines Kampfes und fliehen, wenn die Lage aussichtslos ist.
Magie bis zum Abwinken
Insgesamt kommen in dem Abenteuer an die 60 (!) magische Gegenstände vor, nicht mitgezählt die diversen Tränke und Spruchrollen. Das ist sehr viel. Vor allem sehr viel einfallsloses Zeugs, wenn man bedenkt, dass der Großteil +1 und +2 Waffen oder Rüstungen sind. Natürlich gibt es (ein paar wenige) verfluchte Gegenstände, aber ausgefallenere Stücke, die unberechenbar sind und neben Vor- auch Nachteile bringen, sucht man vergebens.
Neben zahlreichen magischen Gegenständen findet sich in der Festung auch auffällig viel Gold. Einige Blogger vermuteten daher, dass nicht der Dungeon, sondern die Grenzfestung eigentliches Beuteziel der Abenteurer sein könnte. Ein reizvoller Gedanke ...
Resümee
Natürlich merkt man dem Modul an, dass es mehr als 40 Jahre am Buckel hat. So wäre es hilfreich gewesen, bei den einzelnen (Dungeon-) Räumen zunächst das Interieur zu beschreiben, dann die Monster, ihre Werte und was sie bei sich tragen. Im Abenteuerband ist es mal so und mal so, was das rasche Scannen des Textes nach wesentlichen Infos erschwert.
Durch Gygax' einführende Worte ist das Spiel gerade für neue Spielleiter gut geeignet. Andererseits verlangt der Aufbau des Abenteuers ein Stück weit kreative Initiative. Für neue SL könnte das zunächst jedoch herausfordernd erscheinen.
Anders als beim späteren, von Gary Gygax und Frank Mentzer geschriebenen Klassiker Temple of Elemental Evil (1984), fehlen den Höhlen des Chaos eine große Story, die es zu erkunden gilt. Der Fokus liegt am Kampf, die Spieler treffen auf eine bunte Mischung aus Monstern; Gnolle, Orks, Bugbears, Zombies, ein Minotaurus und natürlich Priester eines Chaos-Schreins. Sie alle leben in einem überschaubaren Dungeon eng beisammen und man könnte sich die Frage stellen, warum sie sich nicht schon längst gegenseitig aufgefressen haben.
The Keep on the Borderlands ist bis heute das am öftesten gedruckte D&D-Modul. Schätzungen zufolge wurden insgesamt 1,5 Millionen Exemplare verkauft. Zusätzlich gab es zahlreiche Überarbeitungen und Fortsetzungen des Abenteuers, das Gygax laut eigener Auskunft binnen einer Woche geschrieben hatte.
Abschließend lässt sich sagen, dass The Keep on the Borderlands auch heute noch als Einstiegsabenteuer für OSR-Fans geeignet ist. Rollenspielgeschichtlich ist es allemal interessant, weil zahlreiche Mega-Dungeons und kleinere Dungeon-Crawls die von Gygax 1979 entworfene Struktur bis heute aufgreifen und weitererzählen.
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